Dendritische Architektur aber entscheidend für Feinkontrolle motorischen Verhaltens
22.01.2015
Dendriten sind Verästelungen von Nervenzellen, die Eingangssynapsen tragen. Schätzungsweise 100 Milliarden Neurone im menschlichen Gehirn bilden etwa 100 Billionen Synapsen an ungefähr 150.000 Kilometern Dendritenkabel. Eine zentrale Frage der neurobiologischen Grundlagenforschung ist, weshalb Nervenzellen derart viele Dendriten aufweisen. Die gängigen Hypothesen reichen von der Bereitstellung einer ausreichend großen Oberfläche für synaptischen Eingang bis zur Ausbildung hochspezifischer Kompartimentierungen für die molekulare Signalgebung und neuronale Informationsverarbeitung. Strukturdefekte von Dendriten werden mit verschiedenen Gehirnerkrankungen in Verbindung gebracht wie etwa autistischen Störungen, Alzheimer-Demenz oder Schizophrenie. "Allerdings wissen wir oft nicht, ob strukturelle Defekte an Dendriten die Ursache oder die Folge von geschädigten Gehirnfunktionen sind", erklärt Prof. Dr. Carsten Duch vom Institut für Zoologie der Johannes Gutenberg-Universität Mainz (JGU).
In Duchs Arbeitsgruppe in der Abteilung Neurobiologie werden dendritische Strukturen und Funktionen anhand eines Modellorganismus, der Taufliege Drosophila, erforscht. Die experimentelle Herausforderung bei der Analyse der Rolle von Dendriten ist, diese selektiv an einigen identifizierten Nervenzellen mit bekannter Funktion zu manipulieren, ohne andere Eigenschaften dieser Nervenzellen oder andere Nervenzellen zu beeinträchtigen, um dann die resultierenden Funktionsverluste zu analysieren. Genau das haben Biologen in ihrer jüngsten Studie an Motorneuronen von Drosophila mit genetischen Tricks durchgeführt.
"Wir haben zu unserer Überraschung entdeckt, dass diese Motorneuron-Dendriten für die synaptische Ansteuerung, normale Aktivitätsmuster der Motorneurone im Verhalten und grundlegende Verhaltensleistungen entbehrlich sind", so die beiden Erstautoren der Studie, Dr. Stefanie Ryglewski und Dr. Dimitrios Kadas. Sorgfältige physiologische Studien und Verhaltensexperimente haben dann aber gezeigt, dass das Entfernen der Dendriten die funktionelle Feinkontrolle dieser Motorneurone beeinträchtigt. Das wiederum führt zu beträchtlichen Leistungseinbußen bei anspruchsvollem motorischen Verhalten wie etwa bei der Kontrolle der Flughöhe und dem Wechsel zwischen Gesangselementen beim Balzverhalten.
Die Wissenschaftler um Prof. Dr. Carsten Duch haben damit erstmals einen direkten Hinweis gefunden, dass die dendritische Architektur notwendig ist, um evolutionär festgelegte Verhaltensabläufe, die für den Paarungserfolg und das Überleben zentral sind, zu steuern. Damit liefert die Studie einen Erklärungsansatz, weshalb ein positiver Selektionsdruck auf einer hochkomplexen neuronalen Struktur liegt. Weiterhin nimmt das Ausmaß der Funktionseinbußen von Drosophila-Motorneuronen mit dem Umfang der Schädigung der Dendriten zu. Eine solche Korrelation des Grades der dendritischen Defekte mit dem Ausmaß der neuronalen Störung findet man auch während fortschreitender struktureller Schädigungen bei progressiven neurologischen Erkrankungen.